Kollision der Systeme
von Katrin Merkel (SerienScout Agentur)
Die InitiatorInnen von Kontrakt 18 haben mit ihrem Forderungenkatalog einen wichtigen Impuls gegeben – nicht nur was den Umgang mit AutorInnen, sondern auch für die Überprüfung von Strukturen im Stoffentwicklungsprozess, insbesondere bei Serienproduktionen. Die Diskussion ist mehr als überfällig. Und es ist gut, diese öffentlich zu führen. VDD, die Sendeanstalten und nun auch der Regieverband haben Stellung bezogen – letzterer in schon fast provozierender Knappheit. Aber was sagen denn die ProduzentInnen?
Es geht ja im Kern nicht nur um die Rechte von AutorInnen und der Wertschätzung ihrer Arbeit generell, sondern um eine Neustrukturierung von Arbeitsprozessen, was zwangsläufig eine Umstrukturierung und Neubewertung der Verantwortlichkeiten nach sich zieht. Wir alle müssen umdenken, um den Anforderungen eines immer weiteren, internationaleren und inhaltlich anspruchsvolleren Marktes weiterhin gerecht werden zu können. Der Wandel bringt das alte Gefüge durcheinander und es braucht neue, allgemeingültige Standards, angemessene Entlohnungsmodelle, mehr kreative Konsistenz, aber eben auch eine klare Differenzierung der Positionen und Verantwortlichkeiten.
Sicher, glückliche, gewertschätzte und angemessen bezahlte AutorInnen liefern bessere Arbeit ab, aber insbesondere das derzeit viel zitierte US-amerikanische Showrunner-System unterliegt sehr klaren Regeln, die vor allem der Maximierung von Qualität und damit von Erfolg dienen. Der Fokus liegt auf dem Franchise und einem reibungslosen Ablauf, der nur eins zum Ziel hat: die Herstellung eines erfolgreichen Formats.
Der Showrunner ist dabei eben nicht ‚nur‘ AutorIn, sondern er oder sie ist Creator und ProduzentIn in Personalunion. Und auch ein Creative Producer ist: ProduzentIn. Die Entscheidung über z.B. Regie oder auch Besetzung ist eben nicht nur eine künstlerische, sondern immer auch eine wirtschaftliche. Und da ist es doch nur folgerichtig, wenn diejenigen, die die Entscheidung treffen, auch in der Lage sind, die Verantwortung zu übernehmen, sprich: die Konsequenzen zu tragen. Die Zauberformel heißt da doch eher Erfolgsbeteiligung. Denn die finanziellen Konsequenzen für jeden abgebrochenen Drehtag trägt nun mal in der Regel die Produktion, und nicht der Autor – und auch nicht die Regie, genauso wenig wie der/die alles bestimmende RedakteurIn. Deswegen sollten sich alle maßgeblich an der Diskussion Beteiligten um Präzision bemühen und versuchen klar zu machen, welche Forderungen für alle AutorInnen gelten (müssen!) und welche nur für echte Showrunner gelten (können!). Insofern muss nun gleichzeitig über das derzeit herrschende System mit seinen teilweise absurden Mechanismen der Einflussnahme diskutiert werden. Weil es geht doch um Macht.
Die UnterzeichnerInnen von Kontrakt 18 wollen nach eigener Aussage (wieder) in diesen Kreis der Mächtigen, das heißt der EntscheiderInnen aufgenommen werden. Das ist nachvollziehbar, zementiert aber genau die bestehenden, zu hinterfragenden Strukturen – die wollen sie aber offensichtlich nicht verändern. Diejenigen, die diese Macht derzeit innehaben, werden sie nicht einfach abgeben, ohne etwas dafür zu bekommen. Warum auch, nur um sich besser zu fühlen? Die Währung heißt: Verantwortung. Das Angebot, mehr Arbeitszeit für gleiches Geld leisten zu wollen, ist aus meiner Sicht geradezu kontraproduktiv, da es nicht-Wertschätzung impliziert und zudem Anerkennung in einer Währung fordert (nämlich Anerkennung), die gerade im US-amerikanischen System in der Form gar nicht das Thema ist. Die KollegInnen der Writers Guild (und nicht nur die) raufen sich wahrscheinlich die Haare… Hier manifestiert sich eine weitere urdeutsche Eigenheit: die Anerkennung in Form von Geld wird gerade in kreativen Bereichen gerne als anrüchig empfunden.
Sicher, die geradezu systemimmanente Ignoranz von kreativen Leistungen jenseits des Regiestuhls befremdet nicht nur ausländischen KollegInnen völlig zu Recht. Aber ein Umdenken muss auf allen Seiten stattfinden. Die Vorstellung vom Autor als eierlegende Wollmilchsau, die im stillen Kämmerlein brillante (und marktgerechte) Ideen entwickelt, genauso gut recherchiert, ganze Staffeln strukturiert, selber plottet, Drehbücher im Wochentakt schreibt, umwerfende Dialoge und ebensolche Punchlines ausspuckt, dieses Selbstverständnis ist genauso veraltet wie die gelegentlichen Allmachtsansprüche von deutschen RedakteurInnen und RegisseurInnen.
Die Vorstellung eines kreativen Drei- bzw. Vierecks ist aber genauso überholt. Es ist doch aber genau dieses urdeutsche System eines kreativen viel-mehr-als-nur-vier-Entscheider-Ecks, welches so fundamental mit der Grundidee des Writers Room kollidiert! Gerade die InitiatorInnen von Kontrakt 18 – allesamt Hochkaräter – hätten doch so viel mehr fordern können, fordern müssen! Weil sie jetzt endlich am Drücker sitzen, und zwar weil sie erfolgreiche PRODUKTE ermöglicht haben. Der weit größere Teil der Autorenschaft wird sich eher als sogenannter Staffwriter im Writers Room wiederfinden und ist weit davon entfernt, derartige Forderungen stellen zu können. Für sie sprechen die InitiatorInnen von Kontrakt 18 nicht, so viel muss klar sein, sondern ausschließlich für sich selber: potenzielle Showrunner und/oder HeadautorInnen (die ja nicht notgedrungen Erfinder eines Formats sein müssen).
Gerade die Staffwriter sind im US-amerikanischen System aber keine (künstlerischen) Individuen, sondern quasi eine Cloud von kreativen Dienstleistern. Sie werden – gemessen am Produktionsvolumen – wesentlich besser bezahlt als hierzulande, haben dafür aber auch auf Knopfdruck zu liefern und sich unterzuordnen. Letzteres wurde deutschen FernsehautorInnen in den vergangenen Jahrzehnten mit harten Bandagen anerzogen. Aber wären die AutorInnen bei besserer Bezahlung auch wirklich bereit und in der Lage, ihr Ego an der Pforte eines Wirtes Roms abzugeben? Bisher nur partiell, die nachrückenden Generationen tun sich damit deutlich leichter. Hier wird es in den nächsten Jahren immer mehr Veränderungen geben. Meine Idee, mein Plot, mein Buch, mein (alleiniger) Credit – diese Kategorien werden sich immer weiter auflösen. Denn die Kraft und Effektivität des Writers-Room-Systems liegt neben der kollaborativen Arbeitsweise insbesondere in der Arbeitsteilung – und gerade NICHT in der Teilung der Entscheidungsgewalt. Hier kommt übrigens ebenso die selbstverständliche und nicht als feindliche Einmischung verstandene Arbeit von weiteren KreativarbeiterInnen ins Spiel, z.B. EditorInnen und/oder DramaturgInnen. Sie sorgen für inhaltliche und dramaturgische Stringenz, und die sollte über allem stehen, auch über der Einzelleistung.
Ein Umdenken muss also nicht nur in den Köpfen der ‚Machthaber‘ stattfinden, sondern auch auf Seiten der Kreativschaffenden, die das Ideal des tendenziell brotlosen, dafür aber freien Künstlers überdenken müssen. Amerikanische AutorInnen wissen sehr genau, zu welchem Zeitpunkt ihrer Karriere bzw. in welcher Position welche (kreativen/ künstlerischen) Freiheiten möglich sind und was für eine Entlohnung sie dafür zu erwarten haben.
Es bleibt zu hoffen, dass im Zuge der nun hoffentlich stattfindenden Diskussion die Rechte aller Kreativschaffenden überdacht und gestärkt werden. Dass eine Diskussion um die unglückselige Verknüpfung von völlig unterschiedlichen Werte- und Produktionssystemen in Gang kommt. In diesem Zusammenhang sind auch die Ausbildungshäuser und Berufsverbände gefragt.
Dies alles kann und wird sicher nicht von heute auf morgen geschehen. Die Fragen, die es gemeinsam zu beantworten gilt, sind: Welche Veränderungen sind möglich? Welche Forderungen sind überfällig und welche unrealistisch? Außerdem sollte in der Auseinandersetzung grundsätzlich klarer gemacht werden, wer hier was fordert, weil – noch mal, AutorIn ist nicht gleich Showrunner ist nicht gleich Headwriter!
Vor diesem Hintergrund erscheinen mir die Forderungen von Kontrakt 18 stellenweise zum einen unpräzise, zum anderen nicht weitreichend genug gedacht:
Punkt 1
Die Autorin/der Autor verantwortet das Buch bis zur endgültigen Drehfassung. Sämtliche Bearbeitungen des Buchs müssen von der Autorin/vom Autor autorisiert werden.
➔ Der Showrunner verantwortet alle Bücher bis zur endgültigen Drehfassung. Sämtliche Bearbeitungen des Buchs müssen dementsprechend von ihm/ihr autorisiert werden.
➔ Diese Person hat die Macht, aber auch die Fähigkeit, die Bücher den (kreativen, wirtschaftlichen und produktionellen) Anforderungen entsprechend zu überarbeiten oder:
➔ diese Überarbeitung in Auftrag zu geben. Showrunner/HeadautorIn initiiert und autorisiert also die Überarbeitungen – und entscheidet auch, wer (aus dem Team!) das Geforderte einbringen kann
➔ Der gemeine Staffwriter autorisiert gar nichts und hat auch nicht mitzureden – wird dafür aber auch angemessen bezahlt.
Punkt 2:
Die Autorin/der Autor hat Mitspracherecht bei der Auswahl der Regisseurin oder des Regisseurs. Die Entscheidung über die Besetzung der Regie wird einvernehmlich getroffen.
➔ Ja, der Showrunner entscheidet über Regie und auch z.B. Besetzung – wenn er denn auch bereit ist, produzentische Verantwortung zu übernehmen.
➔ Ein Autor ohne produktionelle Entscheidungsgewalt ist im besten Fall Headwriter. Der entscheidet aber auch nicht über Regie und Besetzung.
➔ Der gemeine Staffwriter entscheidet gar nichts, hält sich aus der Diskussion raus, wird für seine Arbeit aber angemessen bezahlt.
Punkt 3:
Die Autorin/der Autor wird zu den Leseproben eingeladen.
➔ Absolut sinnvoll, dass eine Person aus dem Schreibteam bei Leseproben anwesend ist. Aber nicht um dem Individuum Gelegenheit zu geben, ‚sein/ihr‘ Buch zu vertreten, sondern um die stringente Umsetzung der kreativen Idee eines Formats zu gewährleisten.
➔ Wieso diese Person nicht zu allen produktionsrelevanten Proben/Besprechungen einladen?
Punkt 4:
Der Autorin/dem Autor wird das Recht eingeräumt, die Muster und den Rohschnitt zum frühestmöglichen Zeitpunkt sehen und kommentieren zu können. Der Autor/die Autorin wird zur Rohschnittabnahme eingeladen.
➔ Ja, absolut. Aber die Anwesenheit eines Showrunners/Headautors im Schnitt macht nur dann Sinn, wenn er/sie auch die entsprechende Kompetenz und auch Entscheidungsgewalt besitzt.
➔ Und auch hier geht es nicht um eine einzelne Episode, sondern um die Schnittdramaturgie des gesamten Formats.
Punkt 5:
Die Autorin/der Autor wird bei allen Veröffentlichungen in Zusammenhang mit dem Filmprojekt (Pressemitteilungen, Programmhinweise, Plakate etc.) namentlich genannt und zu allen projektbezogenen öffentlichen Terminen eingeladen.
➔ absolut korrekt, hier haben Presse und Veranstalter einiges nachzuholen.
➔ Aber wir reden auch hier – nur zur Erinnerung – nicht über alle an einem Projekt beteiligten ‚Autoren‘, sondern über den Creator eines Formats.
Punkt 6:
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner verpflichten sich dazu, Aufträge zu Buch-Überarbeitungen (Rewrites, Polishing u. ä.) nur anzunehmen, wenn sie sich zuvor mit den aus dem Projekt ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen verständigt haben.
➔ Das ist eine ehrenvolle Einstellung, die in dem aktuell (noch) herrschenden System sinnvoll ist.
➔ Aber das Ziel wäre doch, dass Showrunner bzw. HeadautorInnen über eine Überarbeitungen entscheiden, die Autoren damit kein Problem haben (weil sie ihn oder sie als kreative Instanz akzeptieren und außerdem verstanden haben, dass ein Drehbuch keine Einzelleistung ist) und er/sie darüber hinaus anständig behandelt und angemessen bezahlt wird.
Vor allem mit diesem letzten Punkt haben die Kontraktler der breiten Masse ihrer Autoren-Kollegen jedenfalls keinen Dienst erwiesen, sie werden diesen Katalog gar nicht unterzeichnen können. Schade eigentlich. Insofern fordert Kontrakt 18 auf der einen Seite zu viel, auf der anderen zu wenig, und deswegen beginnen viele Kommentare (aus allen möglichen Richtungen) mit einem: Ja! Aber…
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